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“Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung” (G.I.K., 1930)

Die Einleitung von Paul Mattick zur Wiederherausgabe von 1970

Die vorliegende Kollektivarbeit “Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung” er­schien zuerst vor 40 Jahren. Ihre Verfasser, die Gruppe Internationaler Kommunisten in Holland, gehörten der Rätebewegung an. Arbeiterräte entstanden zuerst in der russischen Revolution von 1905. Nach Lenin hatten sie damals schon die Potenz der politischen Machtergreifung, obwohl sie sich tatsächlich noch auf dem Boden der bürgerlichen Revolution bewegten. Trotzki zufolge stellten die Arbeiterräte, im Gegensatz zu den politischen Parteien innerhalb der Arbeiterklasse, die Organi­sation des Proletariats selbst dar. Der Holländer Anton Pannekoek sah in der Rätebewegung die Selbstorganisation des Proletariats, die zu ihrer Klassenherrschaft und zur Übernahme der Produkti­on führen würde. Mit dem Erlöschen der russischen Revolution und dem Ende der Räte verlor sich jedoch das Interesse an dieser neuen Organisationsform, und die traditionellen politischen Parteien und Gewerkschaften hatten das Feld der Arbeiterbewegung wieder für sich allein. Erst die russische Revolution von 1917 brachte die Räte erneut in das Gesichtsfeld der internationalen Arbeiterbewe­gung; nun aber nicht nur als Ausdruck der spontanen Organisation revolutionärer Arbeiter, sondern auch als notwendige Maßnahme gegen die konterrevolutionäre Haltung der alten Arbeiterbewe­gung.

Der erste Weltkrieg und der Zusammenbruch der Zweiten Internationale schloß die erste Periode der Arbeiterbewegung ab. Was schon lange zuvor ersichtlich war, nämlich die Eingliederung der Ar­beiterbewegung in die bürgerliche Gesellschaft, wurde nun zur unumstößlichen Tatsache. Die Ar­beiterbewegung war keine revolutionäre Bewegung, sondern eine Bewegung von Arbeitern, die sich innerhalb des Kapitalismus einzurichten suchte. Nicht nur die Führer, auch die Arbeiter hatten kein Interesse an der Abschaffung des Kapitalismus und waren demzufolge mit der gewerkschaftlichen und politischen Tätigkeit innerhalb des Kapitalismus zufrieden. Die beschränkten Möglichkeiten der Parteien und Gewerkschaften innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft drückten zugleich die wirklichen Interessen der Arbeiterklasse aus. Nichts anders konnte auch erwartet werden, da ein sich progressiv entfaltender Kapitalismus jede wirkliche revolutionäre Bewegung ausschließt.

Das Idyll einer möglichen Klassenharmonie im Wandel der kapitalistischen Entwicklung, wie es der reformistischen Arbeiterbewegung zugrunde lag, zerbrach jedoch an den dem Kapitalismus eigenen Widersprüchen, die sich in Krisen und Kriegen ausdrücken. Die revolutionäre Idee, vorerst das ideologische Gut einer radikalen Minderheit innerhalb der Arbeiterbewegung, erfaßte die breiten Massen, als das Elend des Krieges die wahre Natur des Kapitalismus bloßlegte; nicht nur die des Kapitalismus, sondern auch den wahren Charakter der im Kapitalismus großgewordenen Arbeiter­organisationen. Die Organisationen waren den Händen der Arbeiter entglitten; sie existierten für die letzteren nur insoweit, als es notwendig war, die Existenz ihrer Bürokratien sicherzustellen. Da die Funktionen dieser Organisationen an die Erhaltung des Kapitalismus gebunden sind, können sie nicht umhin, sich jedem ernstlichen Kampf gegen das kapitalistische System entgegenzustellen. Eine revolutionäre Bewegung benötigt deshalb Organisationsformen, die über den Kapitalismus hinaus weisen, die die verlorene Herrschaft der Arbeiter über ihre Organisationen wieder herstellen und die nicht nur Teile der Arbeiter, sondern die Arbeiter als Klasse umfassen. Die Rätebewegung war ein erster Versuch, eine der proletarischen Revolution entsprechende Organisationsform aufzu­bauen.

Die russische wie die deutsche Revolution fanden ihren organisatorischen Ausdruck in der Rätebe­wegung. In beiden Fällen verstanden sie es jedoch nicht, die politische Macht zu behaupten und zum Aufbau einer sozialistischen Wirtschaft zu benutzen. Während das Versagen der russischen Rä­tebewegung unzweifelhaft auf die Rückständigkeit der sozialen und ökonomischen Umstände Ruß­lands zurückzuführen ist, beruhte das der deutschen Rätebewegung auf der Unwilligkeit der Masse der Arbeiter, den Sozialismus auf revolutionärem Wege zu verwirklichen. Die Sozialisierung wurde als Aufgabe der Regierung, nicht als die der Arbeiter selbst, angesehen und die Rätebewegung de­kretierte ihr eigenes Ende durch die Wiederherstellung der bürgerlichen Demokratie.

Obwohl die bolschewistische Partei mit der Losung “Alle Macht den Räten” die politische Macht eroberte, hielt sie an der sozialdemokratischen Vorstellung fest, daß die Einführung des Sozialismus Sache des Staates, nicht der Räte sei. Während keine Art von Sozialisierung in Deutschland unter­nommen wurde, zerstörte der bolschewistische Staat das kapitalistische Privateigentum, ohne je­doch den Arbeitern Verfügungsrechte über ihre Produktion zu zusprechen. Soweit die Arbeiter in Frage kamen, war das Resultat eine Form von Staatskapitalismus, der die gesellschaftliche Lage der Arbeiter unverändert ließ und deren Ausbeutung durch eine sich neu bildende privilegierte Klasse fortsetzte. Der Sozialismus war weder durch den sich reformierenden Staat der bürgerlichen Demo­kratie noch durch den neuen revolutionären bolschewistischen Staat zu verwirklichen.

Abgesehen von der entweder objektiven oder subjektiven Unreife der Situationen, waren auch die zur Sozialisierung beschreitbaren Wege in Dunkelheit gehüllt. Im Großen und Ganzen war die so­zialistische Theorie auf die Kritik des Kapitalismus und die Strategie und Taktik des Klassenkamp­fes innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft ausgerichtet. Insoweit man sich Gedanken über den So­zialismus machte, erschien der Weg zum und die Struktur des Sozialismus bereits im Kapitalismus vorgezeichnet. Selbst Marx hatte nur wenige prinzipielle Anmerkungen über den Charakter der so­zialistischen Gesellschaft hinterlassen da es in der Tat nicht sehr einträglich ist, sich mit der Zukunft über den Punkt hinaus zu beschäftigen, der schon in der Vergangenheit und Gegenwart eingeschlos­sen ist.

Im Gegensatz zu späteren Auffassungen hatte Marx jedoch klar gemacht, daß der Sozialismus nicht Sache des Staates, sondern der Gesellschaft ist. Der Sozialismus, als “Assoziation freier und glei­cher Produzenten”, benötigte den “Staat”, d.h. die Diktatur des Proletariats, nur zu seiner Etablie­rung. Mit der Konsolidierung des Sozialismus würde die als “Staat” aufgefaßte proletarische Dikta­tur verschwinden. In der reformistischen wie in der revolutionären sozialdemokratischen Vorstel­lung vollzog sich jedoch eine Identifizierung von staatlicher und gesellschaftlicher Kontrolle, und der Begriff der “Assoziation freier und gleicher Produzenten” verlor seine ursprüngliche Bedeu­tung. Die im Kapitalismus bereits vorhandenen Kennzeichnung der sozialistischen Zukunft wurden nicht in der möglichen Selbstorganisation der Produktion und Verteilung durch die Produzenten ge­sehen, sondern in den dem Kapitalismus eigentümlichen Konzentrations- und Zentralisations-Ten­denzen, die in der staatlichen Beherrschung der Gesamtwirtschaft ihren Abschluß finden werde. Diese Vorstellung des Sozialismus war von der Bourgeoisie aufgegriffen und dann als Illusion ange­griffen worden.

Das Ende einer großen geschichtlichen Bewegung wie die der Räte schließt nicht die Erwartung ih­rer Wiederkehr in einer neuen revolutionären Situation aus. Aus Niederlagen kann zudem gelernt werden. Die Aufgaben der Rätekommunisten nach den verlorenen Revolutionen bestand nicht nur in der weiteren Propagierung des Rätesystems, sondern auch in der Herausarbeitung der Mängel, an denen die Bewegung gelitten hatte. Eine und vielleicht die größte Schwäche war, daß die Räte kein klares Bild über ihre Aufgaben in Bezug auf die sozialistische Organisation der Produktion und Ver­teilung hatten. Da die Rätebewegung in den Betrieben ihre erste Basis findet, muß diese auch zum Ausgangspunkt der gesellschaftlichen Koordinierung und Zusammenfassung des wirtschaftlichen Lebens werden, in dem die Produzenten selbst über ihr Produkt verfügen. Die “Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung” war der erste Versuch der westeuropäischen Rätebe­wegung, sich mit dem Problem des sozialistischen Aufbaus auf der Basis der Räte vertraut zu ma­chen.

In Anbetracht der ungeheuerlichen Schwierigkeiten, die der proletarischen Revolution im Wege ste­hen, mag diese sich größtenteils auf die Recheneinheit und Buchführung der kommunistischen Wirtschaft beziehende Schrift auf den ersten Blick als eigenartig erscheinen. Da man jedoch die Be­sonderheiten der zu erwartenden politischen Schwierigkeiten nicht voraussehen kann, bleibt die Beschäftigung damit immer spekulativ. Ein Gesellschaftssystem mag schwer oder leicht zu über­winden sein; es hängt von Umständen ab, die sich nicht voraussehen lassen. Aber diese Schrift be­schäftigt sich nicht mit der Organisation der Revolution, sondern mit den ihr nachfolgenden Proble­men. Da sich auch der wirkliche Zustand der Wirtschaft im Gefolge der Revolution nicht erraten läßt, läßt sich auch kein Programm für die tatsächlich zu leistenden nächsten Arbeiten im voraus aufstellen. Die auftauchenden Notwendigkeiten selbst werden hier der bestimmende Faktor sein. Was sich im voraus diskutieren läßt, sind die Maßnahmen und Instrumente, die zur Herstellung be­stimmter erwünschter gesellschaftlicher Verhältnisse notwendig sind, in diesem Fall Verhältnisse, die als kommunistisch gelten können.

Das theoretische Problem der kommunistischen Produktion und Verteilung wurde durch die russi­sche Revolution zu einer praktischen Frage. Aber die Praxis war bereits vorbestimmt durch den Be­griff der zentralistischen staatlichen Kontrolle, die beide Flügel der Sozialdemokratie beherrschte. Die Diskussionen um die Realisierung des Sozialismus oder Kommunismus ließen das wirkliche Problem, das der Kontrolle der Arbeiter über ihre Produktion, außer Acht. Die Frage war, wie und mit welchen Mitteln eine zentral geleitete Planwirtschaft zu verwirklichen wäre. Da der Marxschen Theorie nach der Sozialismus keinen Markt, keine Konkurrenz, keine Preise und kein Geld kennt, ließ sich der Sozialismus nur als Naturalwirtschaft auffassen, in der mittels der Statistik die Produk­tion sowohl wie die Verteilung von einer Zentralstelle aus bestimmt wird. An diesem Punkt setzte die bürgerliche Kritik mit der Behauptung ein, daß ein rationales Wirtschaften unter solchen Um­ständen unmöglich wäre, da die gesellschaftliche Produktion und Verteilung eines Wertmaßstabes bedarf, so wie er in den Marktpreisen gegeben ist.

Um nicht die diesbezügliche Diskussion in den “Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Ver­teilung” vorwegzunehmen, sei hier nur gesagt, daß ihre Verfasser die Lösung des Problems der not­wendigen Recheneinheit in der gesellschaftlichen durchschnittlichen Arbeitszeit als Grundlage für die Produktion als auch für die Verteilung sehen. Die praktische Anwendbarkeit dieser Rechenme­thode und der damit verbundenen öffentlichen Buchführung wird im Detail nachgewiesen. Da es sich nur um Mittel zur Erzielung bestimmter Resultate handelt, läßt sich logisch nichts dagegen ein­wenden. Die Anwendung dieser Mittel setzt natürlich den Willen zur kommunistischen Produktion und Verteilung voraus. Ist diese Voraussetzung gegeben, so stünde der Anwendung dieser Mittel nichts im Wege, obwohl sie nicht die einzigen dem Kommunismus angemessenen sein mögen.

Marx zufolge ist jedes Wirtschaften “Ökonomie der Zeit”. Die Verteilung und Anordnung der gesell­schaftlichen Arbeit zur Befriedigung der Produktions- und Konsumtionsbedürfnisse macht auch im Kapitalismus die Arbeitszeit zum Maßstab der Produktion, wenn auch nicht zu dem der Verteilung. Den im Kapitalismus auftretenden Preisen liegen an Arbeitszeit gebundene Werte zugrunde, die sich allerdings nicht auf die einzelnen Waren beziehen, sondern auf die gesamtgesellschaftliche Produk­tion in der alle Preise zusammen genommen nichts anderes sein können als der Gesamtwert der an Arbeitszeit gebundenen Produktion. Die Produktions- oder Ausbeutungsverhältnisse des Kapitalis­mus, die zugleich Marktverhältnisse sind, und die Akkumulation von Kapital als Motiv und Motor der kapitalistischen Produktion, schließen einen an Arbeitszeit gebundenen Austausch von Wertä­quivalenten aus. Nichtsdestoweniger beherrscht das Wertgesetz die kapitalistische Ökonomie und ihre Entwicklung.

Von dieser Tatsache ausgehend, kann leicht angenommen werden, daß auch im Sozialismus das Wertgesetz Geltung habe, da auch hier die Arbeitszeit in Betracht gezogen werden muß um rationa­les Wirtschaften zu ermöglichen. Aber Arbeitszeit wird zum Arbeitszeitwert nur unter kapitalisti­schen Bedingungen, unter denen die notwendige gesellschaftliche Koordination der Produktion dem Markt und den privaten Besitzverhältnissen überlassen ist. Ohne kapitalistische Marktverhältnisse gibt es kein Wertgesetz, obwohl nach wie vor Arbeitszeit in Betracht gezogen werden muß, um die gesellschaftliche Produktion den gesellschaftlichen Bedürfnissen anzupassen. In diesem letzteren Sinne sprechen die “Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung” von der gesellschaftlichen durchschnittlichen Arbeitszeit.

Die Verfasser weisen darauf hin, daß schon vor ihnen die Arbeitszeit als wirtschaftliche Rechenein­heit vorgeschlagen wurde. Sie finden diese Vorschläge unzulänglich, da sie sich wohl auf die Pro­duktion, jedoch nicht auf die Verteilung beziehen und damit dem Kapitalismus verwandt bleiben. Ihrer Ansicht nach müsse die gesellschaftlich durchschnittliche Arbeitszeit gleichzeitig für die Pro­duktion und die Verteilung gelten. Hier liegt allerdings eine Schwierigkeit und Schwäche der Ar­beitszeitrechnung vor, auf die schon Marx hingewiesen hat und auf die er keine andere Antwort fand als die der Abschaffung der Arbeitszeitrechnung in der Verteilung durch die Realisierung des kommunistischen Prinzips “Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen”.

In seiner Kritik des Gothaer Programms der Deutschen Sozialdemokratischen Partei führte Marx aus, daß eine an Arbeitszeit gebundene gleiche Verteilung neue Ungleichheiten mit sich brächte, da die Produzenten mit Bezug auf ihre Arbeitsfähigkeiten und ihre privaten Verhältnisse unterschied­lich sind. Manche leisten in der selben Zeit mehr Arbeit als andere, manche hätten Familien zu er­halten und andere nicht, so daß sich die Gleichheit der an Arbeitszeit gebundenen Verteilung als Un­gleichheit der Konsumtionsbedingungen auswirkt. “Bei gleicher Arbeitsleistung und daher gleichem Anteil an dem gesellschaftlichen Konsumtionsfonds”, schrieb Marx, “erhält also der eine faktisch mehr als der andere, ist der eine reicher als der andere usw. Um alle diese Mißstände zu vermeiden, müßte das Recht, statt gleich, vielmehr ungleich sein”. Obwohl er aber diese Mißstände für “unver­meidbar in der ersten Phase der kommunistischen Gesellschaft” hielt, sah er sie nicht als ein kom­munistisches Prinzip an. Wenn die Autoren der “Grundprinzipien” behaupten, daß ihre “Darlegun­gen nur die folgerichtige Anwendung der Marxschen Gedankengänge sind”, so stimmt das nur inso­fern, als diese Gedanken sich auf eine Phase der sozialistischen Entwicklung beziehen, in der noch das Prinzip des Austausches von Äquivalenten vorherrscht, das aber im Sozialismus sein Ende fin­den soll.

Für Marx war es selbstverständlich, daß die “jedesmalige Verteilung der Konsumtionsmittel nur Folge der Verteilung der Produktionsbedingungen” ist. “Sind die sachlichen Produktionsbedingun­gen genossenschaftliches Eigentum der Arbeiter selbst”, führte er aus, “so ergibt sich ebenso eine von der heutigen verschiedene Verteilung der Konsumtionsmittel”. Die möglichen Mißstände einer an Arbeitszeit gebundenen Verteilung konnten so nicht durch eine Trennung von Produktion und Verteilung bewältigt werden, da die Beherrschung der Produktion durch die Produzenten auch deren Beherrschung der Verteilung enthält, so wie die staatliche Bestimmung der Verteilung- die Zutei­lung von Oben - auch die staatliche Kontrolle der Produktion in sich einschließt. Die Verfasser der “Grundprinzipien” betonen mit Recht, daß den Produzenten das volle Verfügungsrecht über ihre Produktion zugestanden werden muß, aber ob dieses Verfügungsrecht auch eine an gleiche Arbeits­zeit gebundene Verteilung benötigt, ist eine andere Frage.

In den hochentwickelten kapitalistischen Ländern, d.h. den Ländern, in denen sozialistische Revolu­tionen möglich sind, sind die gesellschaftlichen Produktivkräfte weit genug entwickelt, um einen Überfluß an Konsumtionsmitteln zu produzieren. Wenn man bedenkt, daß sicherlich mehr als die Hälfte aller kapitalistischen Produktion und der mit ihr verbundenen unproduktiven Tätigkeiten (ganz abgesehen von den vorhandenen unangewandten Produktionsmöglichkeiten) nichts mit dem menschlichen Konsum zu tun haben, sondern einen “Sinn” nur innerhalb der irrationalen kapitalis­tischen Gesellschaft finden können, dann wird ersichtlich, daß unter den Bedingungen kommunisti­scher Wirtschaft ein Überfluß an Konsumtionsmitteln erzeugt werden kann, der eine Berechnung individueller Anteile überflüssig macht.

Die Aktualisierung des schon heute potentiell gegebenen Überflusses setzt allerdings eine völlige Umstellung der gesellschaftlichen Produktion auf die realen Bedürfnisse der Produzenten voraus. Die Umwandlung der Kapitalproduktion in eine den menschlichen Bedürfnissen zugewandte wird ohne Zweifel, nicht nur als Resultat der Abschaffung kapitalistischer Verhältnisse, eine Wandlung der industriell-technischen Entwicklung mit sich bringen und auch die bedrohte Zukunft menschli­cher Existenz überhaupt sichern.

Obwohl die "Grundprinzipien" mit Recht betonen, daß die Produktion von der Reproduktion kon­trolliert wird, und obwohl der Ausgangspunkt der kommunistischen Produktion nur der Endpunkt der kapitalistischen Produktion sein kann, so benötigt die neue Gesellschaft dennoch eine ihr ange­paßte Änderung der Produktionsziele und Produktionsmethoden. Die diesen Änderungen entspre­chenden Maßnahmen und deren Resultate werden bestimmen, ob die Verteilung gemäß den Produk­tionsanteilen oder gemäß den sich verändernden wirklichen Bedürfnissen unternommen wird. Wei­terhin ist es durchaus möglich, daß eine teilweise Zerstörung der Produktionsbasis, durch die mit dem gesellschaftlichen Wandel verbundenen Klassenkämpfe, die Organisation der Verteilung auf Grund der Arbeitszeit ausschließe, ohne deshalb eine gleiche Verteilung – z.B. durch Rationierung – zu unterbinden. Und diese gleiche Verteilung könnte ohne den Umweg über die Arbeitszeitrechnung durch die Arbeiter selbst direkt sicher gestellt werden. Die “Grundprinzipien” gehen jedoch sozusa­gen von einem “normalen” kommunistischen Wirtschaftssystem aus, d.h. einem System, das sich bereits völlig durchgesetzt hat und sich in seiner neuen Gestalt reproduziert. Unter solchen Umstän­den erscheint eine an Arbeitszeit gebundene Verteilung als überflüssig.

Allerdings umfaßt das von den “Grundprinzipien” geforderte “exakte Verhältnis von Produzent und Produkt” nur den individuellen Anteil der Produktion – nach Abzug der Produktionsteile, die der öf­fentlichen Konsumtion und der Reproduktion der gesellschaftlichen Produktion zufallen. Der Pro­zeß der Sozialisierung drückt sich in der Abnahme der individuellen und der Zunahme der öffentli­chen Konsumtion aus, so daß die kommunistische Entwicklung doch zur Abschaffung der Arbeits­zeitrechnung in der Verteilung tendiert. Die marktlose Wirtschaft erfordert den Zusammenschluß der Konsumenten in Genossenschaften mit direktem Anschluß an die Betriebsorganisationen, in de­nen die individuellen Wünsche mit Bezug auf die Konsumtion, und damit die Produktion, ihren kol­lektiven Ausdruck finden können. Leider ist dieser Teil der “Grundprinzipien” der am wenigsten ausgearbeitete, obwohl es gerade die angebliche Konsumtionsfreiheit der Marktwirtschaft ist, die als Apologie für den Kapitalismus ausgenutzt wird. Aber es ist durchaus möglich, die Konsumtions­bedürfnisse auch ohne den Markt festzustellen, und zwar weit besser als es der Markt kann, da in der kommunistischen Gesellschaft die durch die klassengebundene Verteilung gegebenen Verzer­rungen der Marktnachfrage wegfallen.

Auch in der Produktion kann die Forderung nach “exakter Berechnung” nur zu einer Annäherung an eine solche führen, da der Arbeits- und Reproduktionsprozeß selbst dauernder Veränderung unter­liegt. Die Feststellung der gesellschaftlichen durchschnittlichen Arbeitszeit für die Gesamtprodukti­on erfordert eine gewisse Zeit, und die einmal erreichte Ermittlung ist der tatsächlichen Reprodukti­on gegenüber stets veraltet. Die “Exaktheit” bezieht sich auf einen verflossenen Zeitpunkt, was sich jedoch nicht ändern läßt, wie sehr sich auch die Ermittlungszeit durch moderne Methoden und In­strumente verkürzen ließe. Die gesellschaftliche durchschnittliche Arbeitszeit ist so steter Verände­rung unterworfen. Dieser Mangel an “Exaktheit” ist jedoch kein ernsthaftes Hindernis zur Kalkula­tion der gesellschaftlichen Produktion und Reproduktion, sei es auf der gleichen, oder einer höheren Produktionsstufe. Nur wird die tatsächliche Situation von der berechneten abweichen, und erst in den Abweichungen ergibt sich der wirkliche Stand der Produktion. Bei der Arbeitszeitrechnung handelt es sich nicht um völlige Übereinstimmung der durch die Recheneinheit gewonnenen Produktionszeiten mit der tatsächlich angewandten durch­schnittlichen Arbeitszeit und der daraus resultierenden Produktion, sondern um die Notwendigkeit der Anordnung und Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit, die der Natur der Sache nach stets nur annäherungsweise erreicht werden kann. Mehr ist jedoch nicht für eine geplante kommunistische Wirtschaft erforderlich.

Die Verfasser der “Grundprinzipien” wollen die Produktion so aufbauen, “daß das exakte Verhältnis von Produzent und Produkt zur Grundlage des gesellschaftlichen Produktionsprozesses wird.” Sie sehen dies als “Kernfrage der proletarischen Revolution”, da sich nur so der Aufbau eines sich über die Produzenten erhebenden Apparats vermeiden läßt. Nur durch die Festlegung des Verhältnisses von Produkt und Produzent ist “die Aufgabe der Leiter und Verwalter hinsichtlich der Zuweisung des Produktes aufgehoben”. Es geht hier also um die Selbstbestimmung der Verteilung durch die Produzenten als der unerläßlichen Voraussetzung der klassenlosen Gesellschaft. Die Festlegung des exakten Verhältnisses von Produzent und Produkt kann allerdings nur das Resultat einer gelungenen proletarischen Revolution sein, die das Rätesystem als Gesellschaftsorganisation realisiert. Ist das der Fall, dann mag jedoch die Notwendigkeit, den Produktionsprozeß von der Verteilung her zu meistern wegfallen. Man kann sich eine ungeregelte Verteilung der Konsumtionsgüter genau so gut vorstellen wie eine geregelte, ohne damit den Aufbau neuer privilegierter Schichten zu fördern. An­dererseits ist die bloße Annahme einer Verteilungsnorm keine ausreichende Gewähr für den Aufbau einer kommunistischen Wirtschaft, die sich nicht nur an den Anteilen der Produzenten am gesell­schaftlichen Produkt zu orientieren hat, sondern, darüber hinaus, an den materiellen Bedingungen der gesellschaftlichen Produktion.

Im Kapitalismus wird die Verteilung nur scheinbar durch den Markt geregelt. Obwohl die Produkti­on über den Markt realisiert werden muß, wird der Markt selbst von der Kapitalproduktion be­stimmt. Es ist die Produktion des Tauschwerts und die Akkumulation des Kapitals, die dem Produk­tionsprozeß zugrunde liegt. Die Gebrauchswertseite der Produktion ist nur Mittel zum Zweck der Tauschwertvermehrung. Die wirklichen Bedürfnisse der Produzenten können nur insoweit Berück­sichtigung finden, als sie mit dem Akkumulationszwang zusammenfallen. Die Produktion als Mehr­wertproduktion in der Marktwirtschaft regelt sich automatisch durch die Tauschwertbeziehungen, die sich, wenn überhaupt, nur rein zufällig mit den Gebrauchswertbeziehungen decken. Die kom­munistische Gesellschaft produziert für den Gebrauch und muß deshalb Produktion und Verteilung den realen gesellschaftlichen Bedürfnissen anpassen. Um irgendeiner Art von Verteilungsnorm nachzugehen, muß vorerst die Produktion unter bewußte Kontrolle gebracht werden. Der Verteilung geht die Produktion voraus, selbst wenn sie von den Bedürfnissen der Konsumenten bestimmt wird. Aber die Organisation der Produktion erfordert weit mehr als die exakte Bestimmung des Verhält­nisses von Produzent und Produkt; sie benötigt die Kontrolle der gesamtgesellschaftlichen Bedürf­nisse und Produktionskapazitäten in deren physischen Formen und eine ihnen entsprechende Vertei­lung der .gesellschaftlichen Arbeit.

Man wird so auch im Rätesystem nicht umhin können, Institutionen aufzubauen, die einen Über­blick über die gesamtgesellschaftlichen Notwendigkeiten und Möglichkeiten erlauben. Die so ge­wonnenen Eindrücke müssen in Entschlüsse ausmünden, wie sie von den einzelnen Betriebsorgani­sationen nicht gefaßt werden können. Der Aufbau des Rätesystems muß so gestaltet werden, daß die Produktion zentral reguliert werden kann, ohne damit die Selbstbestimmung der Produzenten zu be­einträchtigen. Aber selbst im einzelnen Betrieb werden die Beschlüsse der Arbeiter den Räten zur Ausführung überlassen, ohne daß dadurch notwendigerweise eine Herrschaft der Räte über die Ar­beiter entstehen muß. Auch im größeren Rahmen, bis zu dem der nationalen Produktion, lassen sich organisatorische Maßnahmen treffen, die die Selbständigkeit der überbetrieblichen Institutionen mit deren Kontrolle durch die Produzenten verbinden. Aber diese Auflösung des Gegensatzes von Zen­tralismus und Förderalismus, der auch von den “Grundprinzipien” angestrebt wird, läßt sich wohl nicht allein durch die bloße “Registrierung des Wirtschaftsprozesses in der allgemeinen gesell­schaftlichen Buchhaltung” herstellen, sondern bedarf höchstwahrscheinlich besonderer, dem Räte­system eingeg1iederter Betriebe, die sich mit dem Problem der Wirtschaftsgestaltung speziell befas­sen.

Die Zurückweisung einer zentralen Produktionsverwaltung und der damit verbundenen staatlich-re­gulierten Verteilung durch die “Grundprinzipien” beruht auf den in Rußland gemachten Erfahrun­gen, die sich allerdings nicht auf das Rätesystem, sondern auf den Staatskapitalismus beziehen. Aber selbst hier ist die Produktion und Verteilung nicht das Werk der Planungsorgane, sondern das des Staates, der sich der Planungsorgane als Mittel bedient. Es ist die politische Diktatur des Staats­apparates über die Arbeiter, nicht die Planung der Wirtschaft, die zu neuer Ausbeutung geführt hat, an der dann auch die Planungsbehörden teilnehmen können. Ohne die politische Diktatur des Staatsapparates brauchten sich die Arbeiter nicht der zentralen Produktionsverwaltung und Vertei­lung zu unterwerfen.

Die erste Voraussetzung kommunistischer Produktion und Verteilung ist dann, daß sich kein Staats­apparat neben oder über den Räten erhebt, daß die “staatliche” Funktion, d.h. die Unterdrückung konterrevolutionärer Bestrebungen, von den im Rätesystem organisierten Arbeitern selbst ausgeübt wirdi. Eine Partei, als Teil der Arbeiterklasse, die nach der Staatsmacht strebt und sich als Staatsap­parat nach der Ergreifung der Macht etabliert, wird ohne Zweifel versuchen, die Produktion und Verteilung unter ihre Kontrolle zu bringen und diese Kontrolle zur Erhaltung der gewonnenen Posi­tion zu reproduzieren. Ist die Kontrolle der Mehrheit durch die Minderheit gegeben, dann läßt sich auch die Ausbeutung fortsetzen. Das Rätesystem kann so keinen Staat neben sich zulassen, ohne sich selbst zu entmachten. Aber ohne diese abgesonderte staatliche Gewalt kann sich jede Planung der Produktion und Verteilung nur durch das Rätesystem durchsetzen. Die Planungsorgane werden selbst zu Betrieben, neben anderen Betrieben, die sich im Rätesystem zu einer Einheit verschmel­zen.

In diesem Zusammenhang muß noch erwähnt werden, daß auch die Arbeiterklasse in ihrer Zusam­mensetzung dauernder Veränderung unterliegt. Die “Grundprinzipien” gehen von dem in den Be­trieben zusammengefaßten industriellen Proletariat als der gesellschaftlich ausschlaggebenden Klas­se aus. Das auf den Betrieben basierende Rätesystem bestimmt die Gesellschaftsformation und zwingt andere Klassen, z.B. die selbständigen Bauern, sich in das Wirtschaftssystem einzugliedern. In den letzten 40 Jahren hat sich die Arbeiterklasse, d.h. die Schicht der Lohn- und Gehaltsempfän­ger, nun zwar sehr vermehrt, aber relativ zur Masse der Bevölkerung hat sich die Zahl der Fabrikar­beiter vermindert. Ein Teil der Angestellten wirkt zusammen mit den Handarbeitern in den Betrie­ben, ein anderer Teil arbeitet in den Bereichen der Verteilung und Verwaltung. Durch die Verwissen­schaftlichung der Produktion können auch die Universitäten zum Teil als “Betriebe” angesehen werden, da die Produktivkräfte der Wissenschaft die der direkten Arbeit tendenziell überholen. Und obwohl im Kapitalismus Mehrwert immer nur Mehrarbeit sein kann, was auch immer der Stand der Wissenschaft sein mag, stellt sich der gesellschaftliche Reichtum im Kommunismus nicht in wach­sender Arbeit, sondern in der dauernden Reduzierung der notwendigen Arbeit durch die den kapita­listischen Schranken entronnenen wissenschaftlichen Entwicklung dar. Die Produktion vergesell­schaftet sich zunehmend, durch die Einbeziehung stets breiterer Massen in die Produktionsprozesse, die nun nur noch in engster Verbindung und durch die gegenseitige Durchdringung aller Arten von Arbeiten zu existieren vermögen. Kurz gesagt, der Begriff Arbeiterklasse weitet sich aus; er um­schließt schon heute mehr als vor 40 Jahren. Die sich verändernde Arbeitsteilung enthält schon in sich selbst die Tendenz der Auflösung der Berufsscheidungen, der Trennung geistiger von körperli­cher Arbeit, von Fabrik und Büro, von Arbeitern und Vorgesetzten; ein Prozeß, der durch die Einbe­ziehung aller Produzenten in die nunmehr gesellschaftlich orientierte Produktion zu einem Rätesys­tem führen kann, das tatsächlich die ganze Gesellschaft umfaßt und damit der Klassenherrschaft ein Ende setzt.

Man kann das Mißtrauen der “Grundprinzipien” gegenüber den “Führern, Fachleuten und Wissen­schaftlern”, die sich anmaßen, Produktion und Verteilung beherrschen zu müssen, durchaus teilen, ohne deshalb zu verkennen, daß, abgesehen von den Führern, die Fachleute und Wissenschaftler selbst Produzenten sind. Gerade das Rätesystem stellt sie allen anderen Produzenten gleich und be­raubt sie der im Kapitalismus ausgeübten Sonderstellung. Da gesellschaftliche Rückfälle immer möglich sind, ist es jedoch klar, daß auch ein Rätesystem sich zersetzen kann, z. B. durch ein man­gelndes Interesse der Produzenten an ihrer Selbstbestimmung und der daraus folgenden Übertra­gung der Rätefunktionen an Instanzen innerhalb des Rätesystems, die sich den Produzenten gegen­über verselbständigen. Diese Gefahr glauben die Verfasser durch die “neue Produktionsberechnung als allgemeiner Grundlage der Produktion” abwenden zu können. Aber so wie diese Produktionsbe­rechnung erst eingeführt werden muß, kann die von ihr erwartete Wirkung durch eine Reihe von Modifikationen wieder verloren gehen. In der Darstellung der Verfasser erscheint die einmal er­reichte Einführung jedoch als ausreichend. Sie wehren sich gegen die im Staatskapitalismus übliche “Anordnung durch Personen”, die durch den “sachlichen Gang der Produktion” und deren Kontrolle durch die Reproduktion ausgeschaltet werden soll.

Das neue System der Produktion und Verteilung selbst garantiert hier die kommunistische Gesell­schaft, obwohl in Wirklichkeit der “sachliche Gang der Produktion” immer nur durch Personen ge­währleistet wird. Auch im Kapitalismus gibt es einen “sachlichen Gang der Produktion”, nämlich den durch das Marktgesetz gegebenen, dem alle Personen unterworfen sind. Es ist hier das System, das die Menschen beherrscht. Dieses fetischistisch gesehene System verdeckt allerdings nur die rea­len sozialen Verhältnisse der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Hinter den ökonomi­schen Kategorien stehen Klassen und Personen, und wo immer der Fetischismus des Systems durchbrochen wird, tritt der offene Kampf der Klassen und Personen ans Tageslicht. Obwohl der Kommunismus auch ein Gesellschaftssystem ist, so ist es doch nicht über die Menschen sondern durch die Menschen gesetzt. Es hat kein Eigenleben, dem sich die Personen zwangsweise anzupas­sen haben; der “sachliche Gang der Produktion” wird durch Personen angeordnet, allerdings von den im Rätesystem vereinten Personen.

Diese wenigen vorgebrachten Einwendungen müssen hier genügen, um anzudeuten, daß es sich bei den “Grundprinzipien” nicht um ein abgeschlossenes Programm handelt, sondern um einen ersten Versuch, dem Problem der kommunistischen Produktion und Verteilung näher zu kommen. Und obwohl die “Grundprinzipien” sich mit einem noch in der Zukunft liegenden gesellschaftlichen Zu­stand befassen, sind sie zugleich ein geschichtliches Dokument, das einen Stand der Diskussion in der Vergangenheit beleuchtet. Ihre Verfasser waren an die vor einem halben Jahrhundert aufgewor­fenen Fragen der Sozialisierung gebunden, und manche ihrer Argumente haben in der Zwischenzeit einen Teil ihrer damaligen Aktualität verloren. Der damalige Streit der Naturalwirtschaftler mit den Repräsentanten der Marktwirtschaft, in den die “Grundprinzipien” durch die Ablehnung beider Gruppen eingriffen, hat inzwischen sein Ende gefunden. Im allgemeinen wird der Sozialismus über­haupt nicht mehr als eine neue Gesellschaft, sondern als eine Modifikation des Kapitalismus begrif­fen. Die Marktwirtschaftler sprechen von der geplanten Marktwirtschaft, und die Planwirtschaftler bedienen sich der Marktwirtschaft. Die Anordnung der Produktion vom Gebrauchswert her schließt nicht die ungleiche Verteilung der Konsumgüter durch Preismanipulationen aus. Die “ökonomi­schen Gesetze” werden als unabhängig von den Gesellschaftsformationen aufgefaßt, und man strei­tet sich höchstens noch darüber, welche Mischung von Kapitalismus und Sozialismus “ökonomi­scher” wäre.

Das “ökonomische Prinzip”, d.h. das Prinzip der wirtschaftlichen Rationalität, das angeblich allen Gesellschaftsordnungen zugrunde liegt und das sich als maximale Verwirklichung wirtschaftlicher Ziele mit den geringsten Kosten darstellt ist in Wirklichkeit nichts anderes als das ordinäre kapita­listische Prinzip der Profitproduktion, die stets nach dem Höchstmaß der Ausbeutung strebt. Das “ökonomische Prinzip” der Arbeiterklasse ist demzufolge, nichts anderes als die Abschaffung der Ausbeutung. Dieses “ökonomische Prinzip”, von dem die “Grundprinzipien” ausgehen, ist ihnen bis heute vorbehalten geblieben. Abgesehen von der offensichtlichen Ausbeutung der Arbeiter in den sogenannten “sozialistischen” Ländern, dreht sich das akademische Geschwätz um den Sozialismus in den kapitalistischen Ländern nur um staatskapitalistische Systeme. Das “sozialistische Eigentum” an den Produktionsmitteln wird immer als Staatseigentum verstandenii, die administrative Zuteilung von Gütern, mit oder ohne Markt, bleibt immer die Sache zentraler Entscheidungen. Wie im Kapitalismus ist die Ausbeutung zweifach gesichert, durch die fortgesetzte Trennung der Produzenten von den Produktionsmitteln und durch die Monopolisierung der politischen Gewalt. Und wo man den Arbeitern eine Art “Mitbestimmungsrecht” zugestanden oder aufgedrängt hat, fügt der Marktmechanismus der staatlichen Ausbeutung die Selbstausbeutung hinzu. Was auch immer die Schwächen der “Grundprinzipien” sein mögen, in Anbetracht dieser Situation bleiben sie heute wie morgen der Ausgangspunkt aller ernsthaften Diskussionen und Bemühungen um die Verwirklichung der kommunistischen Gesellschaft.

Februar 1970, Paul Mattick

Ursprüngliche Herausgabe: Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung - Kollektivarbeit der Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland), 1930.

Neudruck: Institut für Praxis und Theorie des Rätekommunismus, Berlin-Wilmersdorf, Rüdiger Blankertz Verlag, 1970 (176 Seiten). Einleitung von Paul Mattick, Februar 1970.

Der Text ist auch erhältlich über: left-dis;

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