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"Populärer" Staatsstreich in Ägypten - Erste Stellungnahme einer Gruppe der Kommunistischen Linken

Anläßlich der Ereignisse die am 3. Juli zur Stärkung der militärischen Kontrolle über die Staatsmacht in Ägypten geführt haben, veröffentlichte die Internationale Kommunistische Tendenz am 4. Juli ihre Erklärung zur Lage auf den englischsprachigen Seiten ihres Webportals: "Egypt’s Crisis Goes On: Power Struggles at the Top Whilst Those at the Bottom Die of Hunger and Poverty." Sie war damit die erste traditionelle Gruppe der internationalistischen kommunistischen Linken die eine klare Stellung zum Staatsstreich bezog. Wir empfehlen unseren Lesern die Lektüre der nachfolgenden Übersetzung an.

Die ägyptische Krise geht weiter: Machtkämpfe oben – Hunger und Armut unten!

Wie­der ein­mal ist der Tahir Platz ex­plo­diert. Mil­lio­nen de­mons­trier­ten auf den Stra­ßen der wich­tigs­ten Städ­te Ägyp­tens. Prä­si­dent Mursi wurde ab­ge­setzt und vom Mi­li­tär unter Ar­rest ge­stellt. An sei­ner Stel­le wurde der ehe­ma­li­ge Vor­sit­zen­de des Ver­fas­sungs­ge­richts, Adli Man­sur, als In­te­rims­prä­si­dent ein­ge­setzt und die Ver­fas­sung außer Kraft ge­setzt. Eine Über­gangs­re­gie­rung soll eine neue Ver­fas­sung er­ar­bei­ten und Neu­wah­len vor­be­rei­ten, wäh­rend die Armee un­ver­än­dert Dreh- und An­gel­punkt der Macht und Ga­rant für die po­li­ti­sche Sta­bi­li­tät des Lan­des bleibt. So war es unter Mu­ba­rak, so war es unter Mur­sis Re­gie­rung, und so ist es jetzt – an­ge­sichts einer hef­ti­gen Krise. Es ist somit kein Zu­fall, dass der neue star­ke Mann der Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter Ge­ne­ral Al Zizi ist, der nun die po­li­ti­sche Nach­fol­ge Mur­sis re­gelt.

Warum das alles? Warum gibt es in Ägyp­ten immer noch ein Nach­be­ben des so­ge­nann­ten Ara­bi­schen Früh­lings? Zu­nächst muß man sehen, daß die tiefe Wirt­schafts­kri­se, die der Aus­lö­ser für die De­mons­tra­tio­nen gegen Mu­ba­rak war, noch immer nicht ge­löst ist, son­dern sich viel­mehr ver­schärft hat und alle ge­sell­schaft­li­chen Schich­ten erfaßt. In­ner­halb von zwei Jah­ren hat Ägyp­ten in wirt­schaft­li­cher Hin­sicht zehn Schrit­te zu­rück ­ge­macht. In einem Land, in dem die Mehr­heit der Be­völ­ke­rung in Armut lebt, die Ar­beits­lo­sig­keit nach of­fi­zi­el­len Zah­len bei 40% liegt und die zu­neh­men­de Ver­elen­dung als un­auf­halt­sa­m erscheint, ist es völlig ver­ständ­lich, daß die so­zia­le Unruhe wächst und sich bei der ers­ten Ge­le­gen­heit auf den Stra­ßen Bahn bricht.

Der Aus­lö­ser der Pro­tes­te war die Ent­täu­schung über die Mur­si-Re­gie­rung und ihrer Mus­lim­bru­der­schaft, die De­mo­kra­tie und Ge­rech­tig­keit ge­pre­digt hatte und mit die­sem Ver­spre­chen vor einem Jahr ge­ra­de­zu ins Amt ge­spült wurde. Mursi hat die gro­ßen Er­war­tun­gen un­ter­schätzt und mit sei­ner fun­da­men­ta­lis­ti­schen Cli­que die alte Tra­di­ti­on der dik­ta­to­ri­schen Macht­aus­übung und Kor­rup­ti­on un­ver­än­dert fort­ge­setzt. Außer der Ver­schär­fung der Krise und der re­li­giö­sen Neuver­pa­ckung der herkömmlichen Macht hatte sich am alten und viel gescholtenen Regime nichts ver­än­dert.

Es war die Kom­bi­na­ti­on die­ser bei­den Fak­to­ren, die zu den De­mons­tra­tio­nen gegen – aber auch – obgleich zah­len­mä­ßig schwä­cher – für Mursi führ­ten. Na­tio­na­le wie in­ter­na­tio­na­le po­li­ti­sche Be­ob­ach­ter kamen schnell zu der Schlußfolgerung, daß ohne eine po­li­ti­sche In­ter­ven­ti­on ein blu­ti­ger Bür­ger­krieg drohe, der Ägyp­ten und damit die ganze Re­gi­on in eine tiefe po­li­ti­sche Krise sto­ßen könn­te. Dies würde die schwie­ri­ge Ba­lan­ce zwi­schen Is­ra­el und der ara­bi­schen Welt, bzw. zwi­schen der Eu­ro­päi­schen Union und den USA ins Wan­ken brin­gen – von den Aus­wir­kun­gen auf den Öl­preis und die in­ter­na­tio­na­len Fi­nanz­märk­te gar nicht zu reden.

Um Wirt­schafts­in­ter­es­sen zu si­chern und die po­li­ti­sche Si­tua­ti­on unter Kon­trol­le zu be­kom­men, mußte die­ser Krise zu­vor­ge­kom­men wer­den, bevor der Unmut auf den Stra­ßen zu weit gehen würde. Diese Auf­ga­be wurde von der ägyp­ti­schen Armee vor­erst er­füllt. Sie stürz­te die Re­gie­rung, stell­te Mursi unter Ar­rest, ver­sprach in­ner­halb eines Jah­res Neu­wah­len und mach­te in Per­son von Ge­ne­ral Al Zizi deut­lich, wer das Sagen hat. Diese Sys­tem­si­che­rung wurde in einer Art und Weise durch­ge­führt, die den Mas­sen mög­lichst gut ver­mit­tel­bar war. Bei die­ser Ope­ra­ti­on ist be­son­ders au­gen­fäl­lig, daß die Armee sehr dar­auf be­dacht war nicht mit of­fe­ner Ge­walt auf den Stra­ßen zu in­ter­ve­nie­ren. Es soll­te jeder An­schein eines Put­sches ver­mei­den wer­den, ob­wohl ge­ra­de ein sol­cher im Gange war.

Die­ser Putsch in Samt­hand­schu­hen trägt die deut­li­che Hand­schrift der Oba­ma-Ad­mi­nis­tra­ti­on: Die USA hat­ten hier ein drei­fa­ches In­ter­es­se: Die Ver­hin­de­rung einer Krise, die die ame­ri­ka­ni­schen Pläne im Nahen Osten ge­fähr­den und durch­ein­an­der brin­gen könn­te. Das Ver­hält­nis Ägyp­tens zu Is­ra­el soll­te kei­nen Scha­den neh­men und alles soll blei­ben wie zuvor. Hier­bei kamen der US-Re­gie­rung die seit jeher engen Ver­bin­dun­gen zur ägyp­ti­schen Armee zu­gu­te, die mit ihrer star­ken Struk­tur die ein­zi­ge durch­set­zungs­fä­hi­ge Kraft in po­li­ti­scher wie wirt­schaft­li­cher Hin­sicht ist. Um die po­li­ti­schen Ge­scheh­nis­se ent­schei­dend zu be­ein­flus­sen, konn­te und kann auch auf das Mit­tel der Er­pres­sung ge­setzt wer­den, da jähr­lich 1.3 Mil­li­ar­den US-Dol­lar in die Ta­schen der ägyp­ti­schen Mi­li­tärs flie­ßen. Was die po­li­ti­sche Neu­ge­stal­tung Ägyp­tens an­geht, so ist der Füh­rer der sä­ku­la­ren Op­po­si­ti­on, Mo­ham­med al Ba­ra­dei, ein be­son­de­rer Wunsch­kan­di­dat Oba­mas für die an­ste­hen­den Prä­si­dent­schafts­wah­len. Vor zwei Jah­ren, als die Si­tua­ti­on auf dem Tahir Platz aus den Fugen ge­ra­ten war, konn­te Obama die­ses Spiel noch nicht spie­len. Da­mals mußte er – wenn auch mit gro­ßen Be­den­ken – auf eine is­la­mis­ti­sche Re­gie­rung set­zen, die auch prompt ihre Bünd­nis­treue zu den USA be­kun­de­te und er­klär­te die Ver­ein­ba­run­gen mit Is­ra­el nicht auf­kün­di­gen zu wol­len.

Zu­sam­men­fas­send läßt sich also ge­gen­wär­tig fest­stel­len, daß Mil­lio­nen ver­zwei­fel­ter Ägyp­ter auf die Stra­ßen ge­strömt sind, es aber gleich­zei­tig zu­ge­las­sen haben, daß über ihre Köpfe hin­weg ein ab­ge­kar­te­tes Spiel ge­spielt wird. Auf der an­de­ren Seite wur­den die De­mons­tra­tio­nen vom Mi­li­tär als Vor­wand ge­nutzt, um nach der Macht zu grei­fen. Die Ab­set­zung Mur­sis ist ein po­li­ti­scher Punkt­sieg für den US-Im­pe­ria­lis­mus, der nun ver­sucht sein Image und seine Ak­zep­tanz in einer Re­gi­on aus­zu­bau­en, in der er vor­her als Fremd­kör­per ab­ge­lehnt wurde. Weit­aus be­un­ru­hi­gen­der ist die Tat­sa­che, daß die Be­kannt­ga­be der Ab­set­zung Mur­sis durch das Mi­li­tär auf dem Tahir Platz wie ein Sieg ge­fei­ert wurde und nicht als eine weitere Niederlage erkannt wurde. Aber so­lan­ge es in sol­chen Si­tua­tio­nen keine re­vo­lu­tio­nä­re Par­tei mit einem po­li­ti­schen Pro­gramm gibt, wel­ches eine wirt­schaft­li­che und so­zia­le Al­ter­na­ti­ve zum Ka­pi­ta­lis­mus bie­tet, so­lan­ge nie­mand ver­sucht die Fes­seln zu kap­pen, die die Mas­sen an die Ge­setze des Ka­pi­tals und all seine po­li­ti­schen Aus­hän­ge­schil­der bin­den – ob nun sä­ku­lar oder re­li­gi­ös – ist alles mög­lich, – al­ler­dings stets unter den glei­chen Rah­men­be­din­gun­gen und im alten Trott: Mal Mu­ba­rak dann Tan­ta­wi, mal Tan­ta­wi dann Mursi, mal eine sä­ku­la­re Re­gie­rung, dann eine re­li­giö­se und dann wie­der eine sä­ku­la­re…

Zwi­schen­zeit­lich spitzt sich die Krise des Ka­pi­ta­lis­mus zu, wäh­rend er selbst je­doch nicht grund­le­gend in­fra­ge ge­stellt wird. Wäh­rend immer mehr ägyp­ti­sche Ar­bei­te­rIn­nen ar­beits­los wer­den und ver­ar­men, führt die Armee das Kom­man­do und agiert, wie in die­sem Fall, immer im Ein­klang mit dem US-Im­pe­ria­lis­mus.

F.D.

Quelle: Gruppe Internationale SozialistInnen (G.I.S.), 6. Juli 2913