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Über die Ursachen der letzten Krise

Die folgende Einleitung von Kontroversen wurde am 26. September 2009 in Brüssel auf einer mit Perspective Internationaliste gemeinsam organisierten öffentlichen Diskussionsveranstaltung präsentiert.

Da das Thema dieser öffentlichen Veranstaltung (’Welche Krise des Kapitalismus?’) sehr umfangreich ist, betrifft der einzige Aspekt der hier behandelt wird die Analyse der Ursachen der Krise, und die Fragen die man sich zu ihrem Verständnis stellen kann.

Die neueste Krise wird im Allgemeinen als eine finanzielle Krise dargestellt, die sich danach auf die reale Wirtschaft überträgt. Mit anderen Worten, die Ursache der Wirtschaftsrezession und der Arbeitslosigkeit läge in der Habsucht mancher, in einem Mangel an Regulierung des Finanzsektors oder in dessen Parasitieren an der realen Wirtschaft. Nach unserem Verständnis ist die korrekte Analyse genau umgekehrt: es sind die Widersprüche in der realen Wirtschaft die die Finanzkrise hervorgerufen haben.

Offensichtlich erscheint die Krise, so wie sie in der Abfolge der Ereignisse entfaltet hat – Börsenkrach, Insolvenz der Banken, bzw. Zusammenbruch der ’Subprimes’ (hypothekarische Kredite) vor allem als eine finanzielle Krise. So treten auch die wirtschaftliche Rezession und die Arbeitslosigkeit nur nach dem finanziellen Krach in Erscheinung. Die Fakten scheinen also denjenigen Recht zu geben, die sagen daß die heutige Krise vor allem eine finanzielle Krise ist.

Diese Dimension der Krise existiert unleugbar, es wäre absurd dieses ab zu streiten. Wenn man jedoch bei diesem Aspekt stehen bleibt, kann man nicht erklären warum der Finanzsektor ein solche Bedeutung in der Wirtschaft erlangt hat, und warum die finanzielle Welt hat entgleisen können und plötzlich so habgierig werden konnte. Die Erklärung der Krise zu beschränken auf den Finanz-Aspekt, verhindert das Verständnis ihrer tieferen Ursachen. Für die Marxisten ist eine finanzielle Krise nur eine Folge von mehr grundlegenden Widersprüchen innerhalb der kapitalistischen Wirtschaft. Deswegen müssen wir uns abfragen: Was sind denn die grundlegenden Widersprüche der kapitalistischen Wirtschaft? Im Grunde sind es zwei :

1) Der Erste stimmt überein mit den Schwierigkeiten des Kapitalismus um genügend Profite aus einer gegebenen Investition zu erzielen. In einfacher Sprache sagt man, daß die Investitionen sich immer weniger rentieren. In marxistischer Sprache wird dieses bezeichnet als der tendenzielle Fall der Profitrate.

2) Der zweite Widerspruch bezieht sich auf die Schwierigkeiten des Systems um eine Nachfrage hervorzubringen die auf der Höhe des Volumens der produzierten Waren steht, also die Schwierigkeit die Gesamtheit der Produktion auf dem Markt zu verkaufen.
[In Marxistischer Sprache : „die Gesetze der Umverteilung der Mehrarbeit, die eine mangelhafte Nachfrage erzeugen.“]

Es sind diese zwei Widersprüche in der realen Wirtschaft, die bis auf den heutigen Tag regelmäßig alle Überproduktionskrisen erzeugt haben. Während etwas mehr als der zwei Jahrhunderten seines Bestehens (1780-2009) hat der [industrielle] Kapitalismus etwa 30 Überproduktionskrisen erfahren. Daß macht also im Durchschnitt: alle 8 Jahre eine Krise.

Aber, um gut zu verstehen wie diese beiden Widersprüche funktionieren, und in welchem Zusammenhang sie zur Finanzkrise stehen, müssen wir zwei Präzisierungen hinzuzufügen :

1) Generell treten diese zwei Widersprüche zusammen auf und erzeugen sich gegen-seitig: Wenn nicht alle Waren verkauft werden können, kann auch nicht der ganze Profit eingeheimst werden. Umgekehrt erzeugt ein Mangel an Profite ein Mangel an Märkte. Trotzdem muß man betonen, daß diese zwei Widersprüche auch vollkommen unabhängig von einander auftreten können, oder in einer Weise daß einer der Beiden vorherrscht. Dieses ist wichtig um die Krisen des Kapitalismus zu verstehen, weil nicht alle Krisen sich in der gleichen Art und Weise entfalten, wie wir sehen werden.

2) Die zweite Präzisierung ist, daß diese zwei Widersprüche sowohl in einem kurzfristigem als auch in einem mittelfristigem Zeitraum auftreten. Wenn wir von einem kurzfristigem Zeitraum reden, dann meinen wir Zyklen mit einer durchschnittlichen Dauer von etwa 8 Jahren. Wenn wir von einem mittelfristigen Zeitraum reden, dann geht es um Perioden von 25 bis 40 Jahren des Wachstum oder der Flaute.

Nach dieser kurzen Zusammenfassung des Rahmens der marxistischen Analyse der Krise werden wir jetzt in der konkreten Wirklichkeit sehen wie diese zwei grundlegenden Widersprüche des Kapitalismus die Krise erklären können, und in welchem Zusammenhang diese mit dem Finanzkrach stehen. Die folgenden Grafiken können uns dabei helfen :

Grafik Nr. 1 : Börse und Profite in den Vereinigten Staaten (1992-2009). Blaue Linie : Profite in Prozente des Brutto-Inlands-Produkts (BIP), nach der rechten Achse. Rote Linie : Index Standard & Poor’s 500, korrigiert für die Inflation, fängt 2000 an bei einem BIP = 100, nach der linken Achse.

Die Kurve des Börsenindexes in dieser Grafik (in Rot) zeigt uns die zwei letzten spekulativen Seifenblasen : die Erste ist die Internet-Seifenblase während der Rezession 2000-2001, und die zweite ist die Subprimes-Seifenblase in der heutigen Rezession. Das ist die finanzielle Seite der Krise. Dagegen ist die andere Kurve (in Blau) viel interessanter, die die Entwicklung der realen Wirtschaft aufzeigt, und zwar die Entwicklung der Rentabilität der Unternehmen, daß heißt: die Profitrate. Warum ist das interessanter? Dafür gibt es mindestens drei Gründe :

a) Der Erste ist, daß wir klar den engen Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Profite und der Entwicklung der Börse sehen können.

b) Der zweite Grund ist, daß der Zusammenhang nicht willkürlich ist : es ist die Entwicklung der Profitrate, die die Entwicklung der Börsenindexe bestimmt. Im kurzfristigen Wirtschaftszyklus ist es die Absenkung der Profitrate (also seine konjunkturelle Mangelhaftigkeit) die den Börsenkrach hervorbringt.

c) Der dritte Grund ist, daß es auch die Absenkung der Profitrate ist, die den zyklischen Wirtschaftskrisen von 2000-2001 und 2008-2009 zugrunde liegt.

Mit anderen Worten, kurzfristig ist es sehr wohl die Entwicklung der Profitrate die den Wirtschaftszyklen, dem Finanzkrach, jedoch auch auch den Rezessionen zu Grunde liegt.

Hiermit haben wir eine erste, sehr klare Antwort auf unsere Frage zu Anfang: wir haben es nicht mit einer Finanzkrise zu tun, die sich in eine wirtschaftliche Rezession umgeschlagen hat, sondern mit einer Absenkung der Rentabilität der Unternehmen, die sich erst in eine Finanzkrise verwandelt hat, und die des weiteren in eine wirtschaftliche Rezession mündete. Das scheint uns ein erster Punkt, der uns sehr wichtig vorkommt zu betonen, um der vorherrschen Erklärung Paroli zu bieten, und die marxistische Analyse der Krisen aufs neue zu bestätigen.

Wenn wir jedoch ein wenig Abstand nehmen und die Entwicklung mittelfristig betrachten, dann treten noch andere wichtige Elemente in den Vordergrund. Das zeigt uns die zweite Grafik, worin wir sehr deutlich drei Phasen unterscheiden können :

Grafik Nr. 2 : Anstieg der Profite und Absenkung der Akkumulation nach 1982 (Vereinigte Staaten + Europäische Union + Japan). Volle Linie : Profitrate, nach der linken Achse. Dünnere Linie : Akkumulationsrate, nach der rechten Achse.

a) Die erste Phase, ab dem Ende des zweiten Weltkrieges bis zum Ende der 1960er Jahre, ist die Ära der wirtschaftlichen Prosperität, in der die Profitrate und die Akkumulationsrate gleichzeitig aufwärts steigen.

b) Die zweite Phase fängt Ende der 1960er Jahre mit einer Absenkung der Profitrate an. Man sieht auch daß dieser Fall der Profitrate anschließend die Akkumulationsrate mit herunterreißt bis 1982. Wir sehen also wieder, daß es die Dynamik der Profitrate ist, welche der Nachkriegs-Prosperität ein Ende bereitet, und die lange Periode der Krisen eröffnet, die wir seit etwa vier Jahrzehnten kennen.

c) Die dritte Periode fängt 1982 an. Dann gehen allerdings die zwei Entwicklungen auseinander: die Profitrate steigt wieder stark auf, jedoch nicht so die Akkumulationsrate, die damit fortfährt abzusinken (die Berechnung der Profitrate umfaßt hier natürlich nicht die spekulative Hausse der Börsen).

Angesichts dieser Entwicklungen kann man sich die folgenden vier Fragen stellen :

a) Warum steigen die Profite ab 1982 wieder, nachdem sie so lange abgesunken waren ?

b) Wenn die Profite einen Höhepunkt erreichen, warum beschleunigt nicht auch die Akkumulation wieder, und warum setzt die Krise sich weiterhin fort ?

c) Wo die Profite nach Gipfeln aufsteigen, kann man da heute noch sagen daß es der Fall der Profitrate ist, der die Ursache der Krise ist ?

d) In welchem Verhältnis steht dieses zur ’Finanzialisierung’ der Wirtschaft und zu den spekulativen Seifenblasen ?

1) Die Antwort auf die erste Frage findet man schnell: die Profite konnten wiederhergestellt werden, weil der Anteil der Löhne komprimiert worden ist. Das sieht man deutlich in der nachfolgenden, dritten Grafik: die Löhne stellen zwei-drittel der endgültigen Nachfrage bis 1982, während sie 25 Jahre später kaum mehr als die Hälfte davon ausmachen.

Die wichtigste Folge die sich daraus ergibt, ist ein drastisches Zusammenschrumpfen der kaufkräftigen Märkte, eine enorme Bremse auf die Kapazität die produzierten Waren abzusetzen, weil die Nachfrage weder durch die Konsumtion durch Kapitalisten (die außerdem per Definition unproduktiv ist), noch durch die Investitionen und Verkäufe in den aufkommenden Ländern kompensiert wird.

Grafik Nr.3 : Die Absenkung des Anteils der Löhne nach 1982 hat die Profitrate wiederhergestellt (Europäische Union)

2) Auf die zweite Frage – Warum beschleunigt die Akkumulation nicht, und also warum dauert die Krise weiter an, trotz der Steigerung der Profitrate ? – finden wir also eine einfach Antwort :

Das ist ganz einfach und vor allem die Folge dieses drastischen Zu-sammenschrumpfens der Märkte: es wird heute noch immer investiert, doch es handelt sich dabei vor allem um Investitionen zwecks Rationalisierungen und Fusionen, und nicht zu Zwecke der Ausweitung, wie während der Periode der Nachkriegs-Prosperität.

3) Auch die Antwort auf die dritte Frage fällt uns nicht schwer: Kann man angesichts der gipfelstürmenden Profitrate noch sagen daß der Fall der Profitrate die Ursache der Krise ist ? Ja, denn, wie wir an der ersten Grafik gesehen haben, sind die kurzfristigen Entwicklungen der Profitrate noch immer der Motor der Wirtschaftszyklen und der Krisen. Jedoch haben wir es seit 1982 nicht mehr mit einer allgemein Tendenz der Absenkung der Profitrate zu tun, sondern mit einer Tendenz seiner Steigerung im mittelfristigen Zeitraum.

Infolgedessen, und dieses ist wichtig, liegt der Kern der wirtschaftlichen Probleme seit den 1980er Jahren nicht mehr in einem Mangel an Rentabilität der Unternehmen, sondern in einem Mangel an kaufkräftigen Märkten um die Produktion abzusetzen. Mit anderen Worten, seit den 1980er Jahren ist der Kapitalismus wieder gewinnbringend, jedoch läuft dieses über eine schwache Akkumulations- und Wachstumsrate ab, bei einer erheblichen Arbeitslosigkeit, und bei einem wachsenden Elend für die übergroße Mehrheit der Lohnabhängigen, weil diese wiedergefundene Rentabilität der Unternehmen durch das Einpressen der Lohnmasse zustande kam, durch Kündigungen, durch unter Druck setzen der Arbeitsbedingungen, und nicht, wie nach dem Krieg, durch eine neu ansteigende Produktivität.

Die Produktivitätssteigerungen nehmen seit dem Ende der 1960er Jahren ab und sind noch immer schwach, wie wir auf der vierten Grafik sehen können :

Grafik Nr.4 : Entwicklung der Arbeitsproduktivität. Kurve: Steigerung der Produktivität. Volle Linie: Durchschnitt der Produktivitätssteigerung. Punktierte Linie: Durchschnittliche Wachstumsrate des BIP.

4) Auch die Antwort auf die vierte Frage, die nach dem Ursprung der seit den 1980er Jahren gewachsenen Bedeutung des Finanzsektors in der Wirtschaft, ist leicht zu verstehen. Man kann sie aus der zweiten Grafik herauslesen : es geht um den ganzen Raum zwischen den beiden Kurven. Dieser allmählich wachsender Raum stellt die Masse der Profite dar, die nicht für Investitionen gebraucht wurden, doch den Finanzsektor gespeist haben. Anders gesagt: es ist die Abwesenheit ausreichender Märkte, die es der Profitmasse nicht erlaubt sich zum Zwecke der Produktionserweiterung zu investieren. Infolge dessen werden die Profite in den Finanzsektor gelotst.

Es ist sehr wichtig das Letzte zu begreifen, da in der revolutionären Presse allgemein behauptet wird, daß der Aufstieg des Finanzsektors seit den 1980er Jahren und das wiederholte Zerplatzen von spekulativen Seifenblasen die Folge der fallenden Profitrate wären. Das heißt, daß die Kapitalisten ihr Geld in den Börsen anlegen würden, als Folge der schwachen Rentabilität der produktiven Investitionen.

Doch alle hier dargelegten Grafiken zeigen auf, daß diese Argumentation in mittelfristigen Zeitraum falsch ist: die produktiven Investitionen sind rentabel und die Profite sind auf dem Gipfel. Das ist logisch, die Spekulation ist um so stärker wie die Profite steigen. Mittelfristig gesehen ist es also völlig falsch zu sagen, daß die Kapitalien zur Börse gehen, weil die Profite schwach sind! Es ist nicht dieses Phänomen (die schwachen Profite), das die zugenommene Bedeutung des Finanzsektors in der Wirtschaft erklären kann. Es ist genau Umgekehrt: der Überfluß an Profite, die durch den Mangel an Ausbreitungsmärkten keinen Weg zur Investition finden, speisen den Finanzsektor.

Der Folge all dessen – und das ist der zweite wichtige Punkt in dieser Ausein-andersetzung – besteht darin, daß der Kern des wirtschaftlichen Dysfunktionierens seit 1982 verbunden ist mit der Schwäche der kaufkräftigen Märkte, und nicht mit dem Fall der Profitrate wie in den 1970er Jahren. Der beste Beweis dafür liegt in der ganzen Konfiguration die zum letzten Börsenkrach geführt hat : da die Nachfrage der Lohneinkommen drastisch eingedämmt war (sehe die Grafiken 3 und 5), wurde das Wachstum nur durch das Anfachen des Konsums erzielt (Grafik 5), der seinerseits ab 1982 durch eine Steigerung der Verschuldung (Grafik nr. 6) und durch eine Verringerung der Ersparnisrate (ebenfalls ab 1982) verwirklicht wurde (Grafik nr. 7).

Grafik Nr.5 : Verringerung des Lohnanteils, bei steigendem Konsum nach 1982 (Vereinigte Staaten). Rote Kurve : Konsum in % des BIP. Grüne Kurve : Lohnanteil am BIP.

Grafik Nr.6 : Wachstum der Verschuldung ab 1982. Blaue Kurve : Gesamte Schuldenlast der Vereinigten Staaten / Bruttosozialprodukt

Grafik Nr.7 : Abnahme des Sparguthabens nach 1982 (Vereinigte Staaten)

Und morgen? Morgen wird diese perverse Dynamik der kapitalistischen Wirtschaft sich noch viel weiter fortsetzen, weil nichts eine Lösung gefunden hat. Schlimmer noch, die Notbehelfe die angewandt werden um die Maschine wieder im Gang zu bringen, werden das Übel mittelfristig nur noch verstärken, auch wenn sie die Rezession kurzfristig herausschieben können. Falls sich nichts ändert, fahren wir innerhalb einiger Jahre mit Sicherheit an die Wand. Jetzt wie demnächst sind es die Lohnabhängigen, die alle die dramatischen Folgen dessen erfahren werden, an erster Stelle auf der Ebene der Arbeitsplätze, durch eine Explosion der Arbeitslosigkeit. Dieses ist heute schon unterwegs, und wird sich in den kommenden Monaten noch viel stärker ankündigen.

C.Mcl., September 2009.

Übersetzt aus dem Französischen: Theodor, Dezember 2009.
Korrektur der deutschen Fassung: Jacob, Februar 2010.